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Erfolgsfaktoren in der digitalen Transformation

Prof. Dr. Oliver Gassmann
Ordentlicher Professor für Technologiemanagement
mit besonderer Berücksichtigung des Innovationsmanagements, Universität St.Gallen.
Foto Hannes Thalmann

Die digitale Transformation beschleunigt den ohnehin schon starken Wandel in der Unternehmenswelt: Rund ein Drittel der laut Forbes 500 grössten Unternehmen weltweit existieren schon 10 Jahre später nicht mehr. Von den 1000 grössten Unternehmen des Jahres 1962 existieren gegenwärtig nur noch 16 Prozent. Diese Entwicklung der Konzentration und Konsolidierung wird sich im Rahmen der nächsten Digitalisierungswelle, nach der Taxirevolution auch «Uberisierung» der Volkswirtschaft genannt, noch verstärken. Gleichzeitig entstehen unzählige Start-ups mit Potenzial für rasches Wachstum. Wie sollen Unternehmen diesen Herausforderungen begegnen?

«Die digitale Transformation durchdringt unseren Alltag und die Wirtschaft. Sie erfasst eine Industrie nach der anderen. Digitalisierte Industrien haben häufig neue Wettbewerber, neue Wettbewerbsregeln, veränderte Margen, umverteilte Wertschöpfung. Die reale, physische Welt wird dabei immer stärker in der virtuellen Datenwelt gespiegelt, um neue Wertschöpfung für die Kunden oder das eigene Unternehmen zu realisieren.»

Gibt es einen klaren Ablauf der digitalen Transformation?

Ja. Sie durchläuft immer die gleiche Musterabfolge:

  1. Daten generieren; der Anteil der Sensorik an der Datengenerierung nimmt dabei zu.
  2. Daten vernetzen; der Anteil der vernetzten realen Produkte, Prozesse und Systeme wächst.
  3. Daten analysieren und visualisieren, um daraus kundenrelevante Erkenntnisse zu gewinnen.
  4. Mehrwert generieren aus den Daten, zum Beispiel über neue Dienstleistungen, verbesserte Prozesse oder neue Funktionalitäten von Produkten. Einzelne Projekte können dabei an jedem der vier Schritte ansetzen, wichtig sind jedoch die Gesamtsicht und ein klares Geschäftsmodell, mit dem Werte geschaffen und gesichert werden können.

Wer wird sich durchsetzen in der digitalen Transformation?

Von Alibaba bis Zalando kann man die digitalen Gewinner analysieren: Selten sind es neue Technologien, sondern meist unterscheidet das Geschäftsmodell die Gewinner von den Verlierern. Dies liegt auch daran, dass in der digitalen Welt Geschäftsmodelle effektiv und effizienter als in der analogen Welt genutzt werden. Deshalb ist es wichtig, die heutigen Geschäftsmodelle zu kennen und neue zu generieren. Im Zentrum gibt ein Geschäftsmodell integrativ Antworten auf folgende vier Fragen: Wer ist der Kunde? Was ist das Nutzenversprechen? Wie wird dieses umgesetzt? Warum ist das Geschäftsmodell profitabel? Dahinter liegen die Themen Markt, Value Proposition, Wertschöpfungskette und Ertragsmechanik. Letztlich erklärt ein Geschäftsmodell, warum ein Unternehmen Wert schafft und dabei Geld verdient.

Die Geschwindigkeit der digitalen Transformation ist sehr hoch. Wie reagieren Unternehmen am besten darauf?

Ja, die Folge davon ist, dass rasche Sprints und iteratives Vorgehen mit engem Kundenkontakt immer mehr das sequentielle Wasserfallmodell ersetzen. Agilität im Entwicklungsprozess wird zum Schlagwort, insbesondere in einem dynamischen Umfeld mit unsicheren Benutzeranforderungen, denn bei Digitalisierungsprojekten weiss der User häufig nicht, was er will. Dies soll aber kein ideologischer Aufruf zu einem agilen Manifest sein, wie es immer wieder in Unternehmen beobachtet wird. Es gibt in stabilen Umgebungen wie der NASA oder in Teilen der Bauindustrie immer noch Gründe für ein phasengetriebenes, sequentielles Vorgehen. Je höher jedoch die Dynamik in der Unternehmensumgebung und im Markt ist und je weniger über die Kundenanforderungen bekannt ist, desto agiler muss der Entwicklungsprozess sein. Dies gilt insbesondere für den Start, wo sich agile Schnellboote eignen, um Erfolge zu erzielen. Es ist besser, rasch Zelte auf- und bei Erfolglosigkeit auch wieder abzubauen, als einen perfekten Palast zu planen, der für die Ewigkeit hält. Solche ewigen Paläste, also Langfristplanungen, werden in der IT vor allem bei kundennahen Prozessen immer weniger sinnvoll. Damit einhergehend ist die Projektorganisation in den letzten Jahren immer wichtiger geworden. Im unternehmerischen Unternehmen finden sich Experten verschiedener Disziplinen zu schlagkräftigen Projektteams zusammen, um konkrete Ziele der Digitalisierung anzugehen. So entstehen Innovationen auf Basis der gegebenen Expertenmittel in immer wieder neuen Anwendungsfeldern, die sich hierarchisch nicht starr vorgeben lassen. Anstatt grosse langjährige Pläne zu entwickeln, ist gerade in der digitalen Welt eine stärkere Aktionsorientierung gefragt. Dabei bietet es sich an, wie ein junges Startup zu handeln, das kein Budget für monatelange Planungen oder grosse Stabsabteilungen hat. Stattdessen gilt es einen nächsten Schritt zu tun, rasches Kundenfeedback einzuholen und sich wieder anzupassen. Die Zyklen von Design-Build-Test sind rascher zu durchlaufen, damit die Lernfortschritte beschleunigt werden. Jedes Unternehmen muss sich fragen, ob es wirklich schneller lernt, als sich die Umgebung verändert.

Wie kann dies gefördert werden?

Lernen heisst auch Fehler machen. Dies ist kulturell eine enorme Herausforderung: Unternehmen müssen lernen, dass Fehler und Scheitern eine Quelle für rasches Lernen darstellen können. Sicher zu wissen, was nicht funktioniert, bringt ein radikales Innovationsprojekt immer vorwärts. Dazu sind Experimente und Tests nötig. Das Ziel von Tests ist es, so rasch zu lernen, dass man den Veränderungen der Umwelt stets einen Schritt voraus ist. In einer Prototypenstrategie müssen möglichst rasch Unsicherheit durch Erkenntnisse, Annahmen durch Fakten ersetzt werden. Das ist möglich, indem für jede Annahme ein Prototyp «gebaut» und getestet wird. Dieses Vorgehen hat Experimentalcharakter, wie wir es aus den Naturwissenschaften kennen. Letztlich ist der Prototyp die Materialisierung der Annahmen und dies führt zu raschen Erkenntnisfortschritten. Bei der Schweizer Post begleiten wir derzeit Versuche mit autonom fahrenden Shuttlebussen. Für die Post ist das komplettes Neuland und ein grosses Risiko für das Image, falls etwas schiefgehen sollte. Es gibt also gute Gründe, eine Vielzahl von Tests durchzuführen. Das Team hat sich aber auf nur vier zentrale Hypothesen konzentriert: Erstens, die Bevölkerung akzeptiert den Shuttle; zweitens, die Fahrgäste gewöhnen sich an die Erfahrung ohne Busfahrer; drittens, das System fällt nicht aus; und viertens, die künstliche Intelligenz verhindert Unfälle. Würde es gelingen, eine dieser vier Hypothesen zu widerlegen, wäre das ein wichtiges Ergebnis: Wir hätten mögliche Schwachstellen aufgedeckt, die später zu enormem Schaden für das gesamte Unternehmen führen würden.

Welche Rolle spielt der Kunde in der Digitalisierung?

Start und Ende einer jeden Digitalisierungsinitiative muss die Wertschöpfung sein. Das wichtigste Element ist dabei der Kunde: User Experience wird zum schlagenden Wettbewerbsfaktor. Dies lässt sich am Beispiel von Google zeigen: Das Unternehmen schlug das dominante Yahoo als Suchalgorithmus, weil die Seite klarer und der Cursor bereits an der richtigen Stelle platziert war. Um im Markt zu bestehen, braucht es tiefergehende Kenntnisse über die offenen und latenten Kundenbedürfnisse. Typischerweise lassen sich diese Erkenntnisse in drei Stufen gewinnen: Wer ist der Kunde? Was sind dessen Bedürfnisse? Welche tiefgehenden Aha-Erkenntnisse über den Kunden sind zu gewinnen? Dabei ist es gerade bei digitalen Leistungen wichtig, neue Wege zu gehen. Das klassische V-Modell von Bedarfserfassung über Marktforschung bis zum Spezifizieren und Umsetzen gerät meist an seine Grenzen. Heute sorgt der interaktive und agile Entwicklungsprozess dafür, dass rasche Feedbackschlaufen zu unmittelbaren Aha-Erlebnissen bei den Entwicklungsteams führen. Mit sophistizierten Experimenten und Eye Tracking werden Benutzer, unterteilt nach soziodemographischen Merkmalen, analysiert. Es werden auch zunehmend latente Kundenbedürfnisse erfasst, die den Kunden zwar nicht bewusst sind, sie aber begeistern, wenn sie adressiert werden. Daher ist es gefährlich, wenn die digitale Transformation nur aus der IT-Abteilung kommt. Oft geraten dabei die Endkunden – sie sind letztlich die Ursache für die Wertgenerierung durch die Digitalisierung – aus dem Fokus.

Die Teams sollten also heterogen zusammengestellt sein?

Unbedingt. Digitalisierungsinitiativen sind fast immer funktions-, bereichs- und oft unternehmensübergreifend. Es muss über die bestehenden Grenzen hinweg zusammengearbeitet werden. Ohne diese Überwindung der bestehenden Strukturen gelingen die wenigsten Transformationsprojekte. Dies ist jedoch oft nicht einfach, da die hergebrachten Prozesse, Anreizsysteme und Berichtsstrukturen meist noch funktional sind. Bereits frühzeitig soll überlegt werden, wer im Kick-off-Team ist, welche Partner an Bord geholt werden müssen für komplementäre Kompetenzen, wer intern hinzugezogen werden soll. Gute Teams sind zielorientiert, weisen eine hohe Diversität auf und haben eine starke Konflikt- und Kommunikationskultur. Zum Team gehört indirekt auch der Sponsor und Unterstützer aus dem Topmanagement. Dieser stellt sicher, dass das Projekt auch in Krisenzeiten nicht unter den Tisch fällt und dass bei Widerständen die Projektinteressen durchgesetzt werden. Zudem müssen die richtigen externen Partner gefunden werden, denn die Digitalisierung zeigt immer wieder die Tendenz zur Konzentration. Das Prinzip «The winner takes it all» führt dazu, dass man gewinnen muss oder ganz verliert.

Wie können Mitarbeiter für die digitale Transformation motiviert werden?

Als Mobilisierung hilft eine starke Vision, wo die Reise hingehen soll. Dies wirkt oft stärker auf die Ausrichtung von Teams als Detailpläne für die Umsetzung. Die Vision bündelt auch die Kräfte im Unternehmen und unternehmensübergreifend zu den Partnern. Visionen werden von Pragmatikern oft kleingeredet. Eine gute Vision ist jedoch gerade im dynamischen Umfeld mit unsicheren Planungsanforderungen und permanenten Neuorientierungen der Projekte sehr nützlich. Oft reicht das Team nicht aus, sondern die gesamte Organisation muss «energetisiert» werden, um eine Transformation erfolgreich durchzuführen. Hier helfen zwei Strategien nach Heike Bruch: «Winning the Princess» oder «Killing the Dragon». Bei der ersten Strategie wird aufgezeigt, wie sich beispielsweise das Kundenerlebnis durch die Digitalisierungsinitiative komplett neu definieren lässt, die Loyalität der Kunden zunimmt und das Unternehmen begeisterte Fans generiert. Bei der Drachenstrategie wird plastisch die Bedrohung aufgezeigt, zum Beispiel die neuen Fintech-Unternehmen in der Finanzindustrie, welche die Industrie revolutionieren. Gleichzeitig wird klargemacht, dass sich das eigene Unternehmen durchaus wehren und gewinnen kann, wenn alle Kräfte zusammenspannen. Beide Strategien erhöhen die positive organisationale Energie im Unternehmen und reduzieren interne Grabenkämpfe ohne Wertgenerierung. Es hat sich gezeigt, dass es gerade bei langfristigen Transformationen erforderlich ist, auch kurzfristige Fortschritte zu realisieren und zu kommunizieren. Diese greifbaren Fortschritte dienen dazu, die Initiative im Unternehmen weiterzuverankern, den Kritikern die Machbarkeit aufzuzeigen und in der Geschäftsleitung das Commitment zu verstärken. Wesentlich ist dabei die Kommunikation: Es reicht nicht aus, einmal die Reise in die digitale Welt anzukündigen. Bei jeder Gelegenheit muss das «Was?», «Wohin?» und vor allem das «Warum?» der Digitalisierungsreise erklärt werden. Fehlende Kommunikation ist einer der häufigsten Gründe für Flops bei Digitalisierungsprojekten.