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Privatpersonen, Unternehmen, Stiftungen: Dank signifikanter Zuwendungen konnte die Universität St.Gallen strategisch wichtige Projekte schnell umsetzen und sich als eine der führenden Wirtschaftsuniversitäten etablieren. Herzlichen Dank an unsere Förderinnen und Förderer für ihr Engagement!

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Inspiration Coworking – Raum für zufällige Entdeckungen schaffen

Barbara Josef
Doktorandin am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik, Universität St.Gallen;
Mitgründerin 5to9 AG.
Foto Hans Stuhrmann

Wenn man sich mit neuen Lernräumen auseinandersetzt und dabei den vertrauten Pfad der Vorstellung von Forschung und Lehre verlässt, stösst man immer wieder auf das Thema Coworking. Das noch relativ junge Phänomen – der Begriff Coworking wurde von Bradley Neuberg im Sommer 2005 erstmalig in einem Blog-Beitrag verwendet – steht symbolisch für eine neue Bewegung, die sich quer durch Wirtschaft und Gesellschaft zieht. Vereinfacht ausgedrückt bieten Coworking Spaces «Schreibtische auf Zeit» – aber das alleine wäre zu kurz gegriffen. Interessant ist nicht das Geschäftsmodell dahinter oder die Gestaltung dieser neuen Räume, sondern die Frage, was entsteht, wenn Menschen mit unterschiedlichem Hintergrund und unterschiedlichen Zielen Teil einer grösseren Gemeinschaft werden, die Raum für Entfaltung und Zusammenarbeit bietet.

«Im HSG Learning Center entsteht ein neuer Geist gemeinsamen Lernens. Es bietet Raum für spontane Begegnungen und kreative Interaktionen. Coworking Spaces bieten eine ähnliche Atmosphäre. Wie haben sie sich bewährt und was kann man davon lernen?»

Heimat für Selbständige – Jungbrunnen für etablierte Firmen

Coworking Spaces werden in Anlehnung an den Soziologen Ray Oldenburg häufig als «Third Places» bezeichnet, als gemeinschaftlich genutzte Orte, die weder das Zuhause noch das Büro sind. Der Ursprung der Coworking-Bewegung lag im Bedürfnis nach Vernetzung. Oder wie es Clay Spinuzzi auf den Punkt brachte: «Working alone, together» – gemeinsam statt einsam. So waren in den Anfangsjahren primär Freelancer und Start-ups an diesen neuen Arbeitsorten anzutreffen – um der Isolation des Home Office zu entfliehen und sich mit Gleichgesinnten auszutauschen.

 

Dass sich in letzter Zeit auch etablierte Firmen immer stärker für Coworking interessieren, erstaunt auf den ersten Blick, zumal sie das Hauptmotiv der Coworking-Begründer – Ausbruch aus der Isolation – nicht teilen bzw. mit dem Corporate Office bereits abdecken. Wenn man zudem berücksichtigt, dass auf Grund der zunehmenden räumlichen und zeitlichen Flexibilität der Wissensarbeiter viele Firmen leerstehende bzw. schwach ausgelastete Büroflächen sowie erhöhte Koordinationsaufwände beklagen, erstaunt das Interesse an Arbeitsorten ausserhalb des Büros umso mehr. Coworking-Pionier-Unternehmen sehen in Coworking nicht ein externes Büro, sondern vielmehr einen Beschleuniger ihrer Transformation hin zu einer Kultur, die von mehr Mitarbeiter- und Kundenfokus geprägt ist.

 

Und genau im Zusammenprallen dieser unterschiedlichen Erwartungen und Bedürfnisse – Heimat versus Jungbrunnen – liegt die Magie der Coworking Spaces. Während sie Start-ups und Freelancern mehr Struktur (Tagesablauf, Trennung Privatleben und Arbeit, Raum- und Zonenvielfalt etc.) ermöglichen, laden sie etablierte Firmen zum Ausbrechen aus ihrer möglicherweise allzu rigiden Struktur ein, zumindest wenn es um Vorhaben geht, bei denen visionäre Gedanken und das radikale Hinterfragen des Bestehenden im Vordergrund stehen.

Gelebte Diversität und Kreativität

Hatten wir früher die Vorstellung, dass Kreativität eine Art Talent ist, das den einen gegeben ist und den andern verwehrt bleibt, so weiss man heute aus der Innovationsforschung, dass zum einen der Kontext eine wichtige Rolle spielt. Zum anderen hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Innovation meist nicht das Resultat einer brillanten Einzelleistung ist, sondern im Verbund und nicht selten durch Zufall entsteht. Coworking Spaces sind in Bezug auf die gezielte Förderung von Kreativität aus drei Gesichtspunkten spannend: Erstens bringen sie Akteure zusammen, die sich punkto Hintergrund, Denkweise, Erfahrungsschatz und Haltung stark unterscheiden – sie sind somit Orte der gelebten Vielfalt. Zweitens stellen sie neutrale Räume dar und ermöglichen somit formelle und informelle Begegnungen auf Augenhöhe. Drittens ermöglichen sie ihren Nutzern eine relativ hohe Autonomie bei der Gestaltung der Arbeit bzw. verhindern unnötige Einengung und Fremdsteuerung weitestgehend, wie dies etwa im Home Office durch die Familie oder im Corporate Office durch Vorgesetzte, Mitarbeiter und Arbeitskollegen der Fall ist. Ob auf diesem Nährboden tatsächlich Kreativität oder gar innovative Ideen entstehen, bleibt offen. Jedenfalls ist festzuhalten, dass zahlreiche Schweizer Firmen (NZZ, Sennheiser, Swisscom, AXA Winterthur, Lista Office etc.) heute schon ihr Innovationsteam oder andere Schlüsselpersonen in Coworking Spaces schicken, weil sie von dieser positiven Abstrahlung und von Netzwerkeffekten überzeugt sind und in Coworking eine Art Jungbrunnen sehen, in den es sich einzutauchen lohnt.

Nachgeholfene Zufälligkeit

Hinter der Vorstellung, dass Coworking Teil einer Sharing Economy ist, steckt die Analogie, das Büro als Dienstleistung zu beziehen. Dies greift zu kurz. Das schlagkräftigste Argument der Coworking-Bewegung ist seit Beginn ihrer Begründung der Zugang zu einer funktionierenden vielfältigen Community. Nebst der emotionalen Bindung und dem Gefühl von Zugehörigkeit locken auch kommerzielle Vorteile durch Netzwerkeffekte. Das aktive Community Management ist einer der wichtigsten Differenzierungsfaktoren zwischen unterschiedlichen Coworking Spaces, aber auch zu Serviced-Office-Angeboten, wie dies beispielsweise Flughäfen oder Messeveranstalter schon seit Jahrzehnten betreiben. Werden einzelne Mitglieder anderen gezielt vorgestellt, so spricht man von «curated introductions»; dies ist nur eine der Verantwortlichkeiten eines Community Managers. Der Unterhalt von physischen und virtuellen Plattformen für den Austausch von Wissen (z. B. Start-up-Pitch Breakfest) und zur Vernetzung (z. B. das Lunch-Ritual «sexy salad» im Impact Hub, wo jeder Coworker eine Salatzutat für das gemeinsame Mittagessen mitbringt) ist ebenso wichtig wie die Selektion und Einführung neuer Mitglieder. Es ist davon auszugehen, dass das Community Management in den nächsten Jahren auch ausserhalb von Coworking Spaces massiv an Bedeutung gewinnen wird und beispielsweise auch als neue Funktion in den Unternehmen Einzug halten wird. Funktionierende Netzwerke sorgen nicht nur für eine höhere betriebliche Agilität, sondern sie stärken auch die Innovationskraft. Community Management ist damit nichts anderes als «assisted serendipity». Vielleicht ermöglicht dieser nachgeholfene Zufall gar die eine oder andere Abkürzung im Innovationsprozess. Dies wird umso mehr der Fall sein, wenn die Coworking Spaces anfangen, sich thematisch zu differenzieren und zu spezialisieren, ohne dabei die kreative Spannung aus der Diversität des Ortes zu verlieren.

Voneinander lernen

Coworking Spaces stehen symbolisch für neutrale Orte, wo sich Gleichgestellte auf Augenhöhe begegnen. Die Coworking Spaces stellen dabei eine Art Bühne dar, die erst entsteht, wenn Menschen sie sich zu eigen machen und darauf ihre persönliche Geschichte inszenieren. Ein zentrales Element ist dabei die Eigenverantwortung – das Zusammenleben und -arbeiten funktioniert nur, wenn alle einen Beitrag leisten und sich aktiv einbringen. Und wenn jeder die Verantwortung für sein eigenes Vorwärtskommen übernimmt bzw. die Initiative ergreift, wenn er von der Gemeinschaft etwas braucht. Dies setzt ein gesundes Mass an Selbstreflexion voraus – eine Fähigkeit, die im digitalen Zeitalter zusätzlich an Bedeutung gewinnt.

 

Die in Coworking Spaces entstehende Dynamik kann ein Vorbild für das HSG Learning Center sein – insbesondere, wenn man den Begriff des Lernens erweitert auf den informellen und spontanen Austausch von Wissen und Erfahrungen, auf zielgerichtete oder spontane Begegnungen, auf Experimentierfreude und Mut, auf eine hohe Durchlässigkeit von Forschung und Praxis und auf sorgsam gepflegte Beziehungen, bei denen alle zugleich Forschende und Lernende sind. Spinnt man diesen Gedanken weiter, so sind die Kernkompetenzen der Universität der Zukunft nicht mehr alleine Forschung und Lehre bzw. der Wissenstransfer, sondern das Zusammenführen von Akteuren aus unterschiedlichen Bereichen, das Inszenieren gemeinsamer bidirektionaler Lernprozesse und das Ermöglichen von lebensbegleitendem Lernen – für Individuen wie für Organisationen. Ein Weg, den die Universität St.Gallen schon längst eingeschlagen hat.