Die HSG Stiftung dankt all ihren Förderinnen und Förderern

Privatpersonen, Unternehmen, Stiftungen: Dank signifikanter Zuwendungen konnte die Universität St.Gallen strategisch wichtige Projekte schnell umsetzen und sich als eine der führenden Wirtschaftsuniversitäten etablieren. Herzlichen Dank an unsere Förderinnen und Förderer für ihr Engagement!

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Philanthropie – Verantwortung für Morgen

Prof. em. Dr. h.c. Wolfgang Schürer
Center for Philanthropy, Universität St.Gallen.
Foto Peter Badge

Dr. Andreas Böhm
Center for Philanthropy, Universität St.Gallen.
Foto Ines Agostinelli

Liebe und tue, was du willst. Augustinus etabliert in diesem einfachen Satz den Zusammenhang von Freiheit und Verantwortung. Er geht von der Liebe aus, die in der Form der Nächstenliebe ein Grundbaustein aller Zivilisationen ist. Liebe im Sinne von Caritas bedeutet auch Fürsorge und ist damit in diesem Bereich ein Ausdruck freiwillig übernommener Verantwortung. Sie begründet, sie eröffnet, ja sie legitimiert Freiheit.

 

Verantwortung konstituiert Freiheit, aber sie begrenzt sie zugleich. Die Freiheit des Individuums und die Freiheit der anderen erfordern eine ständige Balance. Die wechselseitige Anerkennung des anderen ist der erste Baustein, um eine Gemeinschaft entstehen zu lassen. Bedeutet die freie Entfaltung der Persönlichkeit zunächst Verantwortung für sich selbst, folgt daraus in einem zweiten Schritt die Verantwortung des eigenen Handelns in Bezug auf andere.

Verknüpfung von Verantwortung und Freiheit

Diese Verknüpfung von Verantwortung und Freiheit hat ihre Wurzeln in einem besonderen Menschenbild. Caritas, Care, Nächstenliebe sind in praktisch allen Religionen und Zivilisationen verankert. Doch um von Verantwortung sprechen zu können, reicht dies noch nicht aus. Es braucht dazu das Moment der Freiheit, genauer der Willens,- der Handlungs- und der Gestaltungsfreiheit. Sie beruht nicht allein auf Zwängen oder Pflichten. Diese individuelle Freiheit schliesst Bindungen familiärer, religiöser, vertraglicher oder anderer Art explizit mit ein. Aber es sind Bindungen, die aus freien Stücken eingegangen werden.

 

Ein solches Menschenbild mag das Individuum als Ebenbild seines Schöpfers sehen. So sieht der deutsche Alt-Bundespräsident Joachim Gauck in der Verantwortungsfähigkeit des Menschen den stärksten Ausdruck seiner Gottesebenbildlichkeit – und fügte sogleich hinzu, dass es dieser Herleitung nicht zwingend bedürfe. Denn diese Fähigkeit spreche alle Menschen an, ob religiös oder agnostisch.

 

Verantwortung setzt eine Wahl voraus, in der sich die Freiheit manifestiert. Es müssen verschiedene Handlungsalternativen vorhanden sein, zwischen denen man sich entscheiden kann. In der Entscheidung für eine dieser Alternativen realisiert sich die Freiheit und manifestiert sich die Verantwortung. Diese moderne Vorstellung von Verantwortung realisiert sich jedenfalls seit den Zeiten der Renaissance und des Humanismus über Gründe. Henry Kissinger bringt dies in seinem Essay in diesem Band deutlich zur Sprache. Das Erfordernis, menschliches Handeln rational, d.h. begründet, darzustellen und diese Gründe auch im Sinn einer Rechtfertigung hinterfragen und darlegen zu können, ist ein wesentliches Merkmal eines aufklärerischen Menschenbildes. Man trägt Verantwortung, weil man Gründe hat für sein Handeln.

 

Die Verknüpfung von Verantwortung und Freiheit ist nur denkbar in einer Gesellschaft, in der die gleichen Rechte der Individuen garantiert werden. Dies ist erst im modernen freiheitlichen Staat der Fall. Individuelle Freiheit ist sowohl Ausgangs- wie auch Endpunkt allen staatlichen Handelns. Durch das Recht werden im modernen Staat Freiheit und Verantwortung nicht nur konstituiert und garantiert, sondern untrennbar verknüpft. Die grossen Kodifikationen des Zivilrechts hegen den Gebrauch der Freiheit gesellschaftsverträglich ein. Dabei gilt der Grundsatz «in dubio pro libertate», denn wenn Verantwortung institutionalisiert wird, ist jede Einschränkung der Freiheit begründungspflichtig. Die Idee, Teil eines Gemeinwesens zu sein, das auf individueller Freiheit fusst und jedem Bürger die Verantwortung überträgt, sich dafür einzusetzen, resultiert daraus. Erst so kann sich die Vorstellung eines Gemeinwohls entwickeln, das es zu pflegen und zu fördern lohnt.

«Im HSG Learning Center wird der Boden bereitet, damit Studierende während des Studiums und danach im Dienste des Gemeinwohls tätig werden. Dies ist die Voraussetzung, auf der eine freiheitliche Gesellschaftsordnung Bestand hat und gedeihen kann, und ein Ausdruck gelebter Verantwortung für die Zukunft.»

Freiwilliges Engagement und humanitäre Gesinnung

Philanthropisches Engagement füllt diese Verknüpfung von Verantwortung und Freiheit mit Leben. Galt wohltätiges Engagement in der Antike der eigenen Stadt, vor allem den unverschuldet in Not Geratenen, kommen durch die christliche Tradition, später durch die Aufklärung universal ausgerichtete Ansätze hinzu. Die Erdbebenkatastrophe von Lissabon 1755 löste in ganz Europa Betroffenheit aus. «Lissabon liegt in Trümmern, aber in Paris wird getanzt.» Mit diesen Worten brachte Voltaire seine Erschütterung zum Ausdruck. Unter der Anklage erscheint auch eine universale Idee, die letztlich in allen Menschen Brüder sieht. Konsequenterweise orientiert sich auch philanthropisches Engagement, bei dem zunächst die Linderung konkreter Not im Vordergrund stand, stärker an der Beseitigung objektiv wahrnehmbarer sozialer Missstände und damit an der Gestaltung der Zukunft.

 

Hundert Jahre später resultiert aus einer weiteren humanitären Katastrophe, der Schlacht von Solferino, Henri Dunants Entschluss zur Gründung des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), einer Organisation, die sich der Wohltätigkeit, insbesondere in Kriegs- und Krisenlagen, verschreibt. Für Dunant waren freiwilliges Engagement und humane Gesinnung untrennbar verknüpft. Er richtete sich nicht an eine Nation, sondern an die «verschiedenen Zweige der grossen europäischen Familie», angetrieben von «Gefühlen wahrer Philanthropie».

 

Das Erdbeben in Lissabon erschütterte nicht nur Voltaires Glauben, sondern auch seinen Optimismus in die Natur der Menschheit. Doch zeigt die Geschichte seither ein tröstlicheres Bild. Die Grausamkeit des Krieges ist nicht überwunden, aber dem IKRK und in seiner Folge anderen Organisationen gelingt es, Zonen der Menschlichkeit zu schaffen und zu wahren. Dieser Befund gilt analog über Zeiten und Lebensbereiche hinweg. Philanthropie trägt in vielen Bereichen massgeblich dazu bei, Leid zu lindern und Zukunftsperspektiven zu eröffnen.

 

In gegenwärtigen Debatten um globale Herausforderungen klingt Voltaires Anklage gelegentlich durch. Angesichts der globalen Dimension von Phänomenen wie dem Klimawandel erscheint es stossend, dass politische Souveränität weiterhin im Nationalstaat angesiedelt ist und die Weltgemeinschaft deswegen nicht wirklich vom Fleck kommt. Kleine Schritte der internationalen Koordination werden wertlos, wenn mächtige Akteure sich aufgrund divergierender Interessen entgegenstellen.

 

Und doch finden sich heute Menschen sonder Zahl, die, angetrieben von «Gefühlen wahrer Philanthropie », freiwilliges Engagement und humane Gesinnung leben. Menschen engagieren sich, im Grossen wie im Kleinen, auf verschiedenen Ebenen für das Gemeinwohl. In ihrem Wirken realisiert sich der Wille, Verantwortung zu übernehmen und Wirkung zu erzielen. Im Bereich Medizin kann so beispielsweise für Millionen von bedürftigen Menschen Zugang zu ärztlicher Versorgung sichergestellt werden. Bildung, Naturschutz sowie soziales und humanitäres Engagement wären weitere Bereiche, in denen Philanthropie auf verschiedensten Ebenen Wirkung erzielt.

Experimentallabor des Gemeinwohls

Jede dieser Aktivitäten ist Ausdruck der Freiheit, sich in einem bestimmten Bereich persönlich zu engagieren und Verantwortung zu übernehmen. Und sie ist Ausdruck eines Gemeinsinns, ohne welchen eine freiheitliche Ordnung nicht existieren, den sie aber auch nicht garantieren kann. In dem Masse, wie philanthropisches Engagement diese Ordnung mitgestaltet, ist es natürlich auch begründungspflichtig, heute vielleicht mehr denn je. Dies resultiert alleine schon aus dem steuerlichen Privileg, das es in praktisch allen freiheitlichen Rechtsordnungen besitzt. Heute, in Zeiten von Big Philanthropy, kann man erstaunliche Parallelen zur Situation in den USA vor rund 100 Jahren feststellen. Damals wurde das philanthropische Engagement führender Industrieller des Gilded Age kritisch betrachtet. Man vermutete, es sei in erster Linie auf gesellschaftliche Einflussnahme ausgerichtet und zudem wolle man sich der Rechenschaftspflicht entziehen.

 

Ob diese Kritik im Kern zutraf, mag dahinstehen. Das verdienstvolle Wirken dieser Aktivitäten ist heute unbestritten. Auch heutiges philanthropisches Engagement steht weiterhin unter dem Prinzip «in dubio pro libertate». So kann Philanthropie auch als ein Experimentallabor wirken, um neue, gemeinwohlfördernde Lösungen anzustreben, welche beispielsweise die öffentliche Hand (noch) nicht selbst erbringen kann oder will.

 

Dabei ist Philanthropie, insbesondere in der Form einer Stiftung, oft über mehrere Generationen ausgerichtet. Der Wille der Stifter wirkt fort, muss aber von jeder neuen Generation aktualisiert werden. So entwickelt sich nicht nur ein Dialog zwischen den Generationen, ein Band zwischen Herkunft und Zukunft, sondern es kommt eine Treuhänderschaft zum Ausdruck, die auf eine nachhaltige Wirkung ausgerichtet ist.

 

Diese Treuhänderschaft ist gemeinsam getragene Verantwortung für ein geteiltes Anliegen. Philanthropisches Engagement ist keine Einbahnstrasse, sondern repräsentiert aus dieser Perspektive auch einen Vertrauensvorschuss, der zu sorgfältigem und verantwortungsvollem Umgang im Dienste des Anliegens verpflichtet. Dieses Anliegen steht im Vordergrund – es bindet und verbindet die gebende mit der nehmenden Seite.

Schule der Verantwortung

Das HSG Learning Center kann in diesem Kontext verortet werden. Es ist eine Initiative aus der Mitte der Gesellschaft, getragen vom Verantwortungssinn. In den Beiträgen dieses Bandes tönt bereits an, welche Funktion das Learning Center erfüllen soll: eine Schule des Denkens und Handelns, in welcher der Zusammenhang zwischen Freiheit und Verantwortung im Kontext des digitalen Zeitalters neu gedacht und mit Leben gefüllt wird.

 

In Zeiten profunder technologischer wie gesellschaftlicher Umbrüche soll ein Forum des Austauschs, der Reflexion und des Gemeinsinns entstehen. Bleibt es das Verdienst des St.Galler Management-Modells, die systemische Dimension des Managements hervorzuheben, sollen die Studierenden im Learning Center auf die Übernahme von Verantwortung im digitalen Zeitalter vorbereitet werden. Es stellt alte Gewissheiten in Frage und weist auf neue Wege hin. Im Mittelpunkt stehen die Fähigkeiten, kritisch zu denken, kreativ zu gestalten und praxisorientiert umzusetzen: hard skills, soft skills, think skills.

 

Das Learning Center erfüllt nicht nur einen Zweck – es stiftet auch Sinn. Traditionell ist der Gemeinsinn unter den Studierenden der HSG fest verankert. Er realisiert sich in studentischen Vereinen und Initiativen: das St.Gallen Symposium als Forum des Generationendialogs; oikos als ein Forum des Ausgleichs von Ökonomie und Ökologie mit weltweiter Ausstrahlung; START als europaweit führende Initiative für Entrepreneurship.

 

Verantwortungssinn und Gemeinschaft zu stiften kommt grosse Bedeutung zu, insbesondere angesichts der parallelen Tendenzen zunehmender Individualisierung wie der Fragmentierung in gesellschaftliche Gruppen. Das Learning Center soll sich als ein Forum der Interaktion entwickeln – ein Ort des Mit- und Gegendenkens. Im Austausch entwickelt sich Respekt. Empathie, Verständnis und Toleranz sind eine Seite, die Bereitschaft, sich für einen Zweck einzusetzen und mit Widerspruch umzugehen, die andere Seite der Medaille. So wachsen die Bereitschaft und die Befähigung, Verantwortung zu übernehmen.

 

Es wird der Boden bereitet, damit Studierende während des Studiums und danach im Dienste des Gemeinwohls tätig werden. Leitbild ist ein neues Verständnis von Miliz und gesellschaftlichem Engagement, das den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt. Dies ist die Voraussetzung, auf der eine freiheitliche Gesellschaftsordnung Bestand haben und gedeihen kann. Die Wirkung der HSG im Dienste des Gemeinwohls zu stärken, wird im Learning Center angegangen. Es ist ein Ausdruck gelebter Verantwortung für die Zukunft.