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Sinnorientierte Führung

Prof. Dr. Heike Bruch
Professorin für Betriebswirtschaftslehre mit besonderer Berücksichtigung von Leadership,
Universität St.Gallen; Institutsdirektorin, I.FPM – HSG.
Foto IFPM HSG

Sandra Berenbold M.A.
Wissenschaftliche Mitarbeiterin, I.FPM-HSG;
CEO, energy factory St.Gallen.
Foto IFPM HSG

Führung über Sinn gewinnt nicht nur im Kontext der Arbeitswelt 4.0 an Bedeutung, sondern wird bei zunehmender Beschleunigung in Unternehmen auch zum Schlüsselfaktor, um Sinnblockaden und deren negative Konsequenzen durch Zeitmangel, Defokussierung und emotionale Erschöpfung von Führungskräften zu vermeiden. Megatrends wie Globalisierung, Digitalisierung, Individualisierung, Volatilität und zunehmende Diversität sind Auslöser dafür, dass sich die Arbeitswelt spürbar verändert. Oft ist die Transformation in die neue Arbeitswelt darauf ausgerichtet, agiler und innovativer zu werden, schneller auf veränderte Wettbewerbsbedingungen reagieren zu können oder Chancen der Digitalisierung besser zu nutzen. Der in diesem Zusammenhang entstandene Begriff der Arbeitswelt 4.0 beschreibt ein Arbeitsumfeld, das gekennzeichnet ist durch eine hohe Fluidität der Strukturen, Virtualität der Teamarbeit und netzwerkartige Formen der Zusammenarbeit. Die Veränderungen betreffen demnach die Arbeit, Interaktionen und Führung in Unternehmen auf allen Ebenen.

 

Dem Umbruch der Arbeitswelt können Unternehmen mittelfristig kaum entgehen. Die Erkenntnis, dass der Wandel erforderlich ist und gesteuert werden muss, scheint in den letzten Jahren in Unternehmen stark gestiegen zu sein. Allerdings sind zwei entscheidende Fragen in der Praxis noch weitgehend ungeklärt: Erstens, was Unternehmen benötigen, um in der Arbeitswelt 4.0 erfolgreich zu sein, und zweitens, wie die konkrete Umsetzung der Transformation in die neue Arbeitswelt erfolgreich gestaltet werden kann.

 

Laut unserer aktuellen Trendstudie zum Umbruch der Arbeitswelt, welche auf einer Befragung von rund 19’000 Mitarbeitern und Führungskräften aus 92 Unternehmen basiert, wurden bisher in jedem vierten Unternehmen neue Arbeitsformen, wie beispielsweise virtuelle und fluide Teams, mobiles Arbeiten, geteilte Arbeitsplätze oder individualisierte Arbeit, umfassend eingesetzt.

 

Erfolgreich sind aktuell rund sechs Prozent der befragten Unternehmen in der neuen Arbeitswelt. Anhand der Praxiserfahrungen dieser Pioniere lassen sich wesentliche Erkenntnisse zu Erfolgsfaktoren der Arbeitswelt 4.0 und dem Transformationsprozess ableiten. Führung erweist sich hierbei als Schlüsselfaktor.

«Wie muss Führung im modernen Arbeitskontext gestaltet sein, um einerseits die Potenziale erhöhter Freiheit, Flexibilität und Innovativität zu nutzen und andererseits sinnstiftende Orientierung und Inspiration zu geben?»

Ist sinnstiftende Führung in der neuen Arbeitswelt noch zeitgemäss?

Im Zusammenhang mit dem Trend in Richtung Arbeitswelt 4.0 sind vermehrt Diskussionen in Forschung und Praxis darüber aufgekommen, welche Rolle Führung in Unternehmen überhaupt noch spielt und ob diese noch zeitgemäss ist. Die Gemeinsamkeit der verschiedenen Führungsansätze ist, dass netzwerkartiges Arbeiten gegenüber klassisch hierarchischer Führung mit weniger Kontrolle und stärkerer Freiheit der Mitarbeiter verbunden ist.

 

Diese Ansätze fussen auf dem Fundament des gemeinsamen Sinnverständnisses im Unternehmen. Die Arbeitswelt 4.0 wird nur funktionieren, wenn ein solches vorhanden ist. Fehlt dieses, führen mehr Freiheit, Fluidität, Virtualität und netzwerkartiges Arbeiten eher zu Rückschritten, und zwar sowohl bezogen auf die Leistung der Unternehmen als auch auf Wohlergehen, Gesundheit und Bindung der Mitarbeiter.

 

Führung kommt in der neuen Arbeitswelt somit eine noch höhere Bedeutung zu. Während sich klassische Managementfunktionen substituieren lassen, ist die sinnstiftende Rolle, die emotionale Seite der Führung, wichtiger denn je. So konnte gezeigt werden, dass Unternehmen mit einer ausgeprägten sinnstiftenden und inspirierenden Führung hochgradig erfolgreich in der neuen Arbeitswelt sind, während Unternehmen mit einem Manko in dieser Form der Führung eher mit den negativen Folgen der neuen Arbeitswelt zu kämpfen haben.

 

Gleichzeitig wird diese Form der sinnorientierten, emotionalen Führung in der Arbeitswelt 4.0 schwieriger. Ein Grund ist, dass die Arbeitswelt 4.0 eine Dezentralisierung, Entgrenzung sowie Fluidität und damit eine Reduktion des Wir-Gefühls mit sich bringt. Der Zusammenhalt ist in der neuen Arbeitswelt zunächst erschwert bzw. kann nur durch eine starke gemeinsame Ausrichtung auf einen übergeordneten Sinn gelingen. Sinn, starke Identifikation und gemeinsame Zukunftsbilder sind es, was Mitarbeitende benötigen, wenn sie virtuell arbeiten und sich Strukturen auflösen. In der neuen Arbeitswelt wird dies noch elementarer und eine Art Trendverstärker, denn wenn ein gemeinsamer Sinn erlebt wird, sind Unternehmen in der neuen Arbeitswelt noch innovativer, kreativer und involvieren ihre Mitarbeiter stärker. Ist kein klarer Sinn erkennbar, erleben Unternehmen Leistungseinbrüche, Konflikte, weniger Mitarbeiterbindung und erhöhte Krankheitsquoten.

 

Was bedeutet Sinn in der Arbeitswelt 4.0 für den einzelnen Mitarbeiter? Sinn ist in erster Linie das Empfinden jedes Einzelnen im Unternehmen, dass das eigene Tun eine Bedeutung hat und zu einem grösseren Ganzen beiträgt. Was heisst in diesem Zusammenhang Führen über Sinn? Es bedeutet vor allem, dass Führungskräfte den Spagat zwischen zunehmender Individualisierung und der Bindung von Mitarbeitern über ein Wir-Gefühl schaffen sollten.

Die Beschleunigungsfalle als Sinnblockade

Eine der Sinnblockaden ist die Beschleunigungsfalle. In der neuen Arbeitswelt wird nicht nur schneller, sondern auch flexibler gearbeitet, was heterogene Netzwerkstrukturen, offene Zusammenarbeitsformen mit externen Partnern oder erhöhte Anpassungsfähigkeit von Mitarbeitern an ständig veränderte Bedingungen und Aufgaben erfordert. Arbeit dezentralisiert sich, gewohnte strukturelle Grenzen lösen sich auf. Das führt zu einer Zunahme von Beschleunigung in Unternehmen. Die Beschleunigungsfalle tritt daher mit noch höherer Wahrscheinlichkeit in der Arbeitswelt 4.0 auf.

 

Verschiedene Studien des Instituts für Führung und Personalmanagement der Universität St.Gallen zeigen, dass sich etwa 50 Prozent aller untersuchten Unternehmen in der Beschleunigungsfalle befinden. Die Beschleunigungsfalle beschreibt eine kollektive Überforderung und ist schädlich für die Leistungsfähigkeit von Unternehmen. Nicht nur Wachstum, Innovation, Kundenbegeisterung und Qualität, sondern auch die Energie, Gesundheit, Kreativität und die Bindung der Mitarbeiter sinken. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass die Beschleunigungsfalle die Führung und vor allem die Sinnstiftung in Unternehmen stark beeinträchtigt: Erstens ist sie ein Grund für mangelnde Zeit für Führung, zweitens bewirkt sie Defokussierung von Tätigkeiten und Zielen, was die Priorisierung und langfristige Ausrichtung der Aktivitäten erschwert. Drittens führt sie zur emotionalen Erschöpfung von Führungskräften, wodurch deren Begeisterungsfähigkeit vermindert wird.

Die Topführungskräfte als Haupttreiber

In der Forschung sowie in der Empirie und der Praxis von Unternehmen findet sich Evidenz dafür, dass eine wirkungsvolle, sinnstiftende und inspirierende Führung im Unternehmen nur unter der Bedingung möglich ist, dass Topführungskräfte als Vorbild fungieren. Neben der sinnstiftenden Führung ihrer direkten Mitarbeiter ist es wichtig, dass Topführungskräfte sinnstiftend mit Blick auf die Führung des Gesamtunternehmens wahrgenommen werden.

Eine strategische Führungsaufgabe ist die Entwicklung der Arbeitskultur 4.0

Es zeigt sich, dass die gewünschten Effekte neuer Arbeitsformen nur eintreten, wenn Unternehmen vier entscheidende Erfolgsvoraussetzungen erfüllen: Erstens das Vorhandensein eines sinnorientierten Führungsklimas, zweitens einer Vertrauenskultur, drittens «Empowerment», das heisst den Mitarbeiter durch einen höheren Grad an Autonomie und Selbstbestimmung dazu zu befähigen, eigenständig und selbstverantwortlich Gestaltungsspielräume wahrzunehmen und eigene Ressourcen zu nutzen, und viertens einer ausgeprägten Selbstkompetenz der Mitarbeiter.

 

Topmanager sollen hierbei gemeinsam mit dem strategischen Personalmanagement und den Organisationsentwicklern Haupttreiber der Entwicklung einer Arbeitskultur 4.0 mit den genannten zentralen Bestandteilen der Erfolgsvoraussetzungen sein. Im Sinne einer effektiven Transformation in die neue Arbeitswelt hat sich darüber hinaus eine klare Reihenfolge als erfolgversprechend erwiesen: Diese beinhaltet, dass zunächst eine sinnorientierte Führung und Vertrauenskultur gefördert wird, bevor es darum geht, loszulassen und die Freiräume sowie die umfassenden Möglichkeiten des Empowerment netzwerkartiger Strukturen zu nutzen und als Vorbild zu wirken.

Fazit

Eine zentrale Herausforderung für Führungskräfte in der Arbeitswelt 4.0 ist es, Sinn sichtbar in dezentralen und dynamischen Kontexten über alle Ebenen zu stiften und Mitarbeitern eine klare Orientierung in einer vernetzten Welt zu geben. Gleichzeitig müssen Führungskräfte der mit erhöhter Wahrscheinlichkeit auftretenden Beschleunigungsfalle als einer der zentralen Sinnblockaden entgegenwirken. Zur Auflösung der Beschleunigungsfalle ist es in einem ersten Schritt zentral, dass Führungskräfte selbst den Blick auf das grosse Ganze wiedererlangen, um so eine Repriorisierung vorzunehmen und das langfristige gemeinsame Zukunftsbild schärfen zu können. Durch das klare Aufzeigen eines gemeinsamen Sinns mit daraus ableitbaren Werten verhindern sie in einem zweiten Schritt nicht nur die eigene emotionale Erschöpfung, sondern auch das Ausbrennen ihrer Mitarbeiter.

 

Die Frage ist also nicht, ob wir Führung in der neuen Arbeitswelt 4.0 noch brauchen, sondern wie Führung im modernen Arbeitskontext gestaltet sein muss, um erstens die Potenziale erhöhter Freiheit, Flexibilität und Innovativität zu nutzen, zweitens sinnstiftende Orientierung, Inspiration und Richtung zu geben und drittens der erhöhten Gefahr von Chaos, Überforderung und Einzelkämpfertum entgegenzuwirken.

Der ungekürzte Artikel ist unter dem Titel «Zurück zum Kern» zuerst erschienen in: Zeitschrift «OrganisationsEntwicklung», Ausgabe 1/2017, S. 4 – 11, www.zoe-online.org. Wir danken für die freundliche Genehmigung des Nachdrucks.