Die HSG Stiftung dankt all ihren Förderinnen und Förderern

Privatpersonen, Unternehmen, Stiftungen: Dank signifikanter Zuwendungen konnte die Universität St.Gallen strategisch wichtige Projekte schnell umsetzen und sich als eine der führenden Wirtschaftsuniversitäten etablieren. Herzlichen Dank an unsere Förderinnen und Förderer für ihr Engagement!

Jetzt fördern Unsere Förderer

Zukunft des Lernens und Lehrens an der HSG

Prof. Dr. Jan Marco Leimeister
Ordentlicher Professor für Wirtschaftsinformatik,
Universität St.Gallen.
Foto zVg

Prof. Dr. Matthias Söllner
Assistenzprofessor für Wirtschaftsinformatik,
Universität St.Gallen.
Foto zVg

Wir schreiben das Jahr 1459. In Basel wurde gerade die erste Universität der Schweiz gegründet und der Tradition aus Oxford, Rom und Wien folgend bedienen sich auch die Dozierenden in Basel einer etablierten und bewährten Form der Unterrichtsgestaltung: der Vorlesung. Diese Form der Unterrichtsgestaltung hat ihren Ursprung in der Frühzeit der Universitäten im Mittelalter. Zu dieser Zeit waren Bücher eine Seltenheit und der Mehrwert der Vorlesung bestand darin, dass Dozierende aus den wenigen Exemplaren an verfügbaren Büchern vorlasen und diese diskutierten. So konnten sie den Inhalt der Bücher an ihre Studierenden vermitteln. Fast parallel zur Gründung der ersten Universität der Schweiz erfand Johannes Gutenberg die Druckpresse, welche die Verbreitung von Wissen revolutionierte.

 

Heutzutage ist der Zugang zu Wissen über das Internet frei und der Inhalt von Büchern an Universitäten ist über Angebote wie bspw. SpringerLink oder andere Angebote jederzeit von jedem Ort aus ohne Zusatzkosten digital beziehbar. Zusätzlich steht im Internet eine Fülle an weiteren Informationen zur Verfügung, die Studierenden dabei helfen können, auf fast jede Frage passende Antworten zu finden. Man könnte also meinen, durch diese Entwicklung hätte die Vorlesung ihre Existenzberechtigung verloren und müsste durch andere Unterrichtsformate abgelöst worden sein. Diejenigen von Ihnen, die mit den heutigen Abläufen einer Universität vertraut sind, wissen jedoch, dass Vorlesungen immer noch weit verbreitet und gerade für einführende Veranstaltungen in ein Thema oft das Standardformat der Inhaltsvermittlung sind. Im Folgenden möchten wir auf die Gründe hierfür eingehen und darlegen, wie uns die Digitalisierung dabei helfen kann, trotzdem auf die individuellen Bedürfnisse der Lernenden einzugehen und ihnen dabei zu helfen, essentielle Fähigkeiten und Fertigkeiten für das Zeitalter der Digitalisierung aufzubauen.

«Wie kann man den Lernprozess gestalten, um möglichst grosse Lernerfolge zu erzielen und um die Studierenden zu eigenständigem, systematischem Arbeiten anzuleiten? Der Ansatz des Blended Learning kombiniert die neuen digitalen mit bekannten und bewährten Lernformen. Im Mittelpunkt stehen Interaktion und zielorientierte Zusammenarbeit.»

Die Digitalisierung verändert die Art und Weise, wie wir arbeiten, leben und lernen. Durch die immer stärkere digitale Vernetzung und den einfachen Zugang zum Internet – jederzeit und überall – verliert reines Faktenwissen vermeintlich an Wert. Während wir früher noch hätten wissen müssen, wann etwa die erste Universität in der Schweiz gegründet wurde, oder in der Bibliothek ein Buch zu diesem Thema hätten finden müssen, sind diese Informationen heutzutage dank Google oder Wikipedia nur einen Mausklick entfernt. Ähnlich verhält es sich mit Konzepten, Theorien und Methoden, die an Universitäten oft gelehrt werden – zu kaum einem dieser Themen findet man keinen Wikipedia-Eintrag, Youtube-Videos oder Social-Media-Beiträge, mit denen man sich sehr schnell zumindest einen Überblick über die Kernelemente so gut wie aller Themen verschaffen kann.

 

Hinzu kommt, dass die Digitalisierung auch die Abläufe der Wirtschaft auf den Kopf stellt und fast alles beschleunigt. Unternehmen müssen daher immer «agiler» werden und die langen Laufzeiten ihrer Entwicklungsprozesse für Strategien, Produkte und Dienst- leistungen verkürzen bzw. individualisieren. Zudem werden Wertschöpfungsprozesse immer komplexer und entwickeln sich weg von Lieferketten hin zu ganzen Ökosystemen, in denen Unternehmen vernetzt sind und gemeinsam Wert schaffen. Jeder muss versuchen, sich im Ökosystem so zu platzieren, dass sein Stück des Kuchens am Ende gross genug ist, um Erfolg zu haben. Das Akronym «VUCA» versucht, die derzeitigen Rahmenbedingungen zusammenzufassen. Es steht für die vier englischen Begriffe Volatility, Uncertainty, Complexity und Ambiguity. Unternehmen müssen demnach in sehr sprunghaften Zeiten bestehen – Märkte verändern sich schneller als zuvor. Das führt zu einer höheren Planungsunsicherheit. Neue technologische Entwicklungen, wie etwa künstliche Intelligenz oder Blockchain, werden immer komplexer und machen es schwerer zu verstehen, ob oder wie diese Technologien das eigene Geschäftsmodell beeinflussen. Entsprechend sehnen sich die Unternehmen nach Mitarbeitenden, die in der Lage sind, sich in diesen Zeiten zurechtzufinden, wichtige Initiativen zu lancieren und zum Erfolg zu bringen. Sie können sich wahrscheinlich vorstellen, dass es hierbei weniger um Faktenwissen geht, sondern eher darum, verfügbare Informationen abzuwägen, Herausforderungen systematisch sowie zielstrebig anzugehen und mit Beharrlichkeit zu überwinden. Dies alles natürlich möglichst schnell und in Zusammenarbeit mit verschiedenen Fachexperten, die komplexe Herausforderungen erst beherrschbar machen können. Hier stellt sich nun die Frage, wie eine Universität ihre Ausbildung gestalten muss, um solche «digitalen Leader» hervorzubringen.

 

An der Universität St.Gallen stellen wir uns diesen Herausforderungen. Seit jeher ist es unser Ziel, unsere Studierenden zu Führungskräften auszubilden, die Unternehmen zum Erfolg führen und die Geschicke unserer Gesellschaft positiv lenken und prägen können. Entsprechend mussten wir uns schon immer mit den Entwicklungen in der Welt und der Wirtschaft befassen und unser Ausbildungsangebot anpassen. Das neue HSG Learning Center soll beispielhaft für derartige Veränderungen stehen. Das Architekturkonzept unterstützt auch uns dabei, «agil» zu sein und unsere Lehrbedingungen schnell und effektiv an die Lernbedürfnisse der Studierenden anzupassen. Diese Kreativität und Agilität müssen wir auch an anderen Stellen beweisen. Für uns muss gelten: Weg vom reinen Vermitteln von Inhalten, hin zum Trainieren von Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie zum Entwickeln von erfolgskritischer Handlungskompetenz. Hierfür müssten wir eigentlich die Betreuungsintensität deutlich erhöhen, denn wir wissen, dass für das Ausbilden von Fähigkeiten und Fertigkeiten ein höheres Mass an Interaktion und Feedback notwendig ist. Hier machen uns – wie fast allen Universitäten – allerdings oft die steigenden Studierendenzahlen einen Strich durch die Rechnung. Vor knapp 30 Jahren gab es 3900 Studierende an der HSG. Heute sind es mehr als 8500, und alleine in den letzten fünf Jahren kamen fast 1000 Studierende hinzu. Der Anstieg an Dozierenden kann mit diesem Studierendenanstieg proportional nicht mithalten, was dazu führt, dass viele Veranstaltungen voll belegt sind, ein Dozierender heute eher mehr als weniger Studierende gleichzeitig betreuen muss. Und es bleibt festzustellen, dass es bisher leichter war, Mittel für Bauten zu erhalten als für zusätzliche exzellente Forscher- und Lehrpersönlichkeiten. Aber wir wären nicht die HSG, wenn wir uns dieser Problematik nicht stellen würden. Die Digitalisierung kann uns dabei zumindest in Teilen helfen, indem wir die neuen digitalen Möglichkeiten clever mit Bekanntem und Bewährtem kombinieren – Blended Learning. Im Folgenden möchten wir darlegen, wie uns Blended Learning schon heute dabei hilft, unsere Lehre weiterzuentwickeln. Wir möchten auch einen Blick in die Zukunft wagen, in der die Möglichkeiten hinsichtlich Technik und Ressourcen noch weiter fortgeschritten sind. Wichtig ist uns aber auch festzuhalten: Lehre an der HSG ist und muss vielfältig sein. Im Folgenden beschreiben wir lediglich unsere Vorstellungen für unsere eigene Lehre. Wir möchten Anregungen geben, aber uns keinesfalls dogmatisch über die Zukunft der Lehre und des Lernens an der HSG äussern.

 

Beginnen möchten wir mit einer einfachen Unterteilung des Lernprozesses in drei Phasen: Vorbereitung, Präsenz und Nachbereitung. Während bei der klassischen Vorlesung die Präsenzzeit üblicherweise für die Vermittlung von Lerninhalten verwendet wurde, kann dies heute anderweitig geschehen. Durch Lernvideos im Stile von Massive Open Online Courses (MOOCs) oder durch das Bereitstellen von Texten findet die Wissensvermittlung schon vor der eigentlichen Präsenzzeit statt. Gleichzeitig erhöhen die neuen technischen Möglichkeiten die Flexibilität der Studierenden. Sie können sich flexibel einteilen, wann und wo sie sich dem vorzubereitenden Stoff widmen – zu Hause auf der Couch, im Zug auf dem Weg zur Universität oder an einem der individuellen Lernplätze im Learning Center. Zur Wissenssicherung können die Studierenden danach Selbsttests durchführen, bspw. über das neue Lernmanagementsystem Canvas, und überprüfen, wie gut sie die Inhalte verstanden haben. Learning Analytics überprüfen den Fortschritt der Studierenden und geben individuelle Hinweise zur Verbesserung des Lernerfolgs. Dozierende erhalten vor der Präsenzzeit bereits eine Zusammenfassung der Lernergebnisse der Studierenden und können so sehen, welche Inhalte von den Studierenden bereits sehr gut verstanden wurden und auf welche er oder sie zu Beginn der Präsenzzeit noch einmal kurz eingehen sollte. Diese Rückmeldungen können Dozierenden auch dabei helfen, ihre Veranstaltungen zu verbessern und weiterzuentwickeln, um die Effektivität und Effizienz der Vorbereitungsphase in Zukunft zu erhöhen.

 

Durch das Auslagern der Inhaltsvermittlung in die Vorbereitungsphase haben die Dozierenden während der gemeinsamen Präsenzzeit auf dem Campus die Möglichkeit, stärker mit den Studierenden zu interagieren und bspw. aktuelle Ereignisse oder Forschungsergebnisse mit Bezug zu den Lerninhalten zu diskutieren. Dadurch werden die Studierenden angeregt, ihr Wissen anzuwenden, aktuelle Geschehnisse zu reflektieren, Lösungsansätze zu entwickeln und diese mit ihren Kommilitonen und Dozierenden zu diskutieren. Dies kann durch einen Mix in Einzel- oder Gruppenarbeit geschehen, um so einerseits die individuellen Problemlösefähigkeiten der Studierenden zu stärken und gleichzeitig auch die Teamfähigkeiten zu trainieren. Auch hierfür bietet das neue Learning Center der HSG durch die flexible Architektur und die Möglichkeiten, Lehrräume zu verändern bzw. zu wechseln, eine gute Lernumgebung. Wenn man es zusätzlich schafft, Unternehmen und deren aktuelle Probleme in die Lehre zu integrieren, kann man genau das erreichen, wofür die HSG bekannt ist: eine praxisorientierte, auf die zukünftigen Gegebenheiten des Arbeitsmarkts ausgerichtete Lehre, die unseren Absolventen einen Vorsprung mit auf den Weg gibt.

 

Der Lernprozess soll allerdings nicht mit dieser interaktiven Präsenzphase enden. Im Nachgang können die initialen Lösungsansätze weiterentwickelt werden. Hierfür haben wir bspw. eine Funktionalität in unser Lerntool LOOM (Learning Objective and Outcome Manager) implementiert, mit dem die Studierenden ihre Ausarbeitungen gegenseitig kommentieren und weiterentwickeln können. Dadurch trainieren wir quasi nebenbei die Fähigkeit unserer Studierenden, konstruktives Feedback zu geben – eine Fähigkeit, die gerade für Führungskräfte in immer agileren Arbeitsstrukturen an Bedeutung gewinnt. Darüber hinaus können smarte persönliche Assistenten, man denke an Amazons Alexa, vielleicht in naher Zukunft jedem einzelnen Lernenden als individueller Tutor zur Verfügung stehen, der auf alle inhaltlichen und methodischen Fragen eine passende Antwort oder zumindest einen Hinweis liefern kann. Den individuellen Lernfortschritt können die Studierenden dann stets live mitverfolgen. Somit können wir dann hoffentlich auch die bösen Überraschungen reduzieren, dass Klausur- oder Seminararbeitsnoten tiefer als erwartet ausfallen.

 

Daran forschen wir, darauf arbeiten wir hin, und wir freuen uns darauf, wie der architektonische und technische Fortschritt in den nächsten Jahren das Lehren und Lernen an der HSG weiter verändern und hoffentlich verbessern wird.